Neuer Bocksbeutel für Franken?

Traditioneller Bocksbeutel: Was, um Himmels willen, wollte man an ihm denn verbessern?
Traditioneller Bocksbeutel

Würzburg. Unter Schlagzeilen wie „Eine Flasche speckt ab“ (Süddeutsche Zeitung, 19. Dezember 2015), „Franken setzen auf neuen Bocksbeutel von Star-Designer“ (Focus, 11. Dezember) und „Traditionelles Markenzeichen der fränkischen Winzer optisch überholt“ (Nürnberger Nachrichten, 18. Dezember) wurde vor ein paar Wochen in Würzburg ein neuer #BocksbeutelPS des „Stardesigners“ Peter Schmidt und der Gebietsweinwerbung Franken vorgestellt. Und von der Presse ebenso einmütig wie kritiklos bejubelt.

Ein neu gestalteter Bocksbeutel soll also her. Entworfen vom exzentrischen, nach eigener Aussage kauzigen, zu viel Alkohol trinkenden, wenig schlafenden und kiffenden Hamburger Star-Designer Peter Schmidt. Mit ausdauernder Energie versuchte er seit Jahren, fränkischen Weinexperten einzureden, daß der traditionelle Bocksbeutel verstaubt und altbacken sei, kauzig wie er selbst auf der Suche nach Zuneigung.

Dabei berief sich Schmidt auf seine oberfränkischen Wurzeln und das hinterließ wohl Eindruck. Das Ergebnis heißt „Bocksbeutel PS“. Was für ihn Sinn ergibt, wenn der neue Halbbruder aufwendig und ertragreich markenrechtlich geschützt ist. Es geht um Geschäft und Eigen-Profilierung – wie bei Schmidts bisherigen über hundert namhaften Kreationen –, auch um den Spagat zwischen Tradition und Moderne.

Genau an diesem Punkt war der ebenso geschäftstüchtige wie exzentrische Designer zur Stelle, Weinexperten vom Main einzureden, daß ihr Bocksbeutel unmodern sei. Persönlich beruft sich Schmidt auf fränkische Wurzeln, obwohl er seit mehr als 50 Jahren an der Alster lebt.

Neue Ideen habe er in Momenten innerer Stagnation unter jungen, unbekümmerten Freunden bei Kifferabenden, wo alle high sind“, war neulich vielsagend im SZ-Magazin zu lesen („Man kann Menschen mit Häßlichkeit erschlagen wie mit einer Axt“, SZ-Magazin vom 11. Dezember 2015). Im Alltag sei er allein nicht lebensfähig. Die neue Kreation „Bocksbeutel PS“ trägt jedenfalls die Initialen ihres Mentors. Man darf vermuten, daß er dabei auch an sich gedacht hat.

Modernisten sagen, jetzt sei die Zeit angebrochen für ein furioses Fazit der letzten zwanzig Jahre Qualitätsverbesserung im fränkischen Weinbau, für Innovation und Standortbestimmung. Da wird der vorgebliche Zeitgeist bemüht, um die seit Jahrhunderten für höherwertige Weine aus Franken übliche Bocksbeutelflasche neu zu stilisieren.

Solide gewachsene, bewährte Tradition ist bei den Meinungsmachern in Franken offenbar in den Hintergrund getreten. Kellerromantik ist verpönt. Jugendlichkeit und Moderne werden gepredigt. Weinerzeuger ohne langjährige Erfahrungen sind geneigt, dem auf den Leim zu gehen, viele sind verunsichert, selbst in adeligen Häusern mit jahrhundertelanger Weintradition. Vielerorts wird in sterile Vinotheken abseits fränkischen Lokalkolorits investiert: Viel Edelstahl und Glas neben „nüchternen“ Beton, um nur ja den Anschluß nicht zu verpassen. Freuen darüber darf sich ein gutes Dutzend Architekten-Oligarchen, deren Werke man in neuzeitlichen Weinregionen der ganzen Welt mittlerweile austauschbar wiederfindet.

Das paßt immer dort, wo keine gewachsene Weinkultur vorherrscht. Gemütlichkeit war gestern. Die soll sich dann in betonierten „Magischen Orten“ ohne Gastlichkeit in freier Landschaft beherrschend wiederfinden.

Die Protagonisten versuchen also wieder einmal, das Rad neu zu erfinden und berufen sich dabei auf den vermeintlichen Zeitgeist. Erinnert sei an Franz Josef Strauß: „Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, ist schnell verwitwet“. Barock ist heute international und hierzulande mindestens so populär wie vor Jahrhunderten.

Der traditionelle Bocksbeutel ist nach jahrzehntelangem Ringen auch auf politischer Ebene seit über 25 Jahren im europäischen Bezeichnungsrecht geschützt. Eines der bestimmenden Merkmale für die Franken-Flasche lautet „kurzhalsig“. Er definiert sich dort als Mittelbare Herkunftsangabe, orientiert an der allgemeinen Verkehrsauffassung der Konsumenten.

Vorangegangen war ein Musterprozeß vor dem Europäischen Gerichtshof. Das alles hat die Winzer kein Geld gekostet. Das Dilemma mit der überlaut laut propagierten Schmidt‘schen Flasche ist indes folgendes: Sie ist in wesentlichen Teilen bereits auf dem Markt. Ein portugiesischer Perlwein Rosé mit zugesetzter Kohlensäure, verlängertem Flaschenhals und herabgezogenen Schultern verfügt längst über diese Merkmale. „Cooler, frischer und eleganter“ fristet diese vermeintliche Ikone in deutschen Supermärkten zum Verkaufspreis von 3,99 Euro bei gleichem Füllvolumen ein eher unauffälliges Dasein. Das unterbot der neue Bocksbeutel übrigens aus dem Stand: Ein im #BocksbeutelPS abgefüllter GWF-Massenwein kostete z. B. vom 3. bis 8. Juli 2017 bei Lidl in Berlin 2,99 Euro. Was da noch „höherwertiger“ sein soll, nachdem die neue Flasche dem Winzer angeblich auch noch bis zu 60 Cent mehr kosten soll als die bisherige, weiß alleine Bacchus.

Das bestellte Publikum klatschte dennoch artig Beifall. Es erinnerte an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Mit einem  Unterschied: dieser Kaiser, der Bocksbeutel, besaß durchaus eine elegante Garderobe und war keineswegs nackt. Seit gut 25 Jahren, nach jahrelangen Bemühungen auch der Politik, ist der traditionelle Bocksbeutel in ganz Europa geschützt. Tatsächlich hat das jetzt herbeizitierte fränkische Selbstbewußtsein schon längst Gestalt angenommen. Der traditionelle, geschützte Bocksbeutel als Botschafter Weinfrankens ist ein Begriff bei anspruchsvollen Weinfreunden in aller Welt.

Wenig bekannt ist auch, daß der Freistaat den Weinabsatz nicht zuletzt dank einer verpflichtenden finanziellen Umlage für alle Winzer fördert. Doch die Bocksbeutel-Modernisierer wollen mehr. Vor allem jüngere Weintrinker sollen gleichsam auf einer Woge von „Modernität, Frische und Eleganz“ für den Frankenwein begeistert werden. Momentan sind allerdings viele Winzer ratlos, warten erst einmal ab.

Für die Zukunft deuten sich zwei parallele Bocksbeutel-Varianten an: Die traditionelle, europarechtlich geschützt, vielleicht nur noch für Prädikatsweine, Erste Lagen und Große Gewächse aus Franken. Der andere modernistisch neue, mit Zusatzkosten bei der Abfüllung wahrscheinlich eher im unteren Preissegment, gerichtet an jüngere Kunden und ein bestimmtes Segment von Gelegenheitstrinkern.

Die Marktanteile werden sich dann verschieben, die künftige Darstellung in der Öffentlichkeit auch. Historischer, bauchig-runder, per EU-Definition kurzhalsig, oder neuer Bocksbeutel mit hängenden Schultern und verlängertem Flaschenhals? Es ist, als wolle man Barbara Stamm und Manuela Schwesig miteinander verklonen.

Langfristige Chancen haben nur Originale.

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Jochen Freihold, Jahrgang 1946, war von 1971 bis Ende 1996 Direktor des Fränkischen Weinbauverbandes und Geschäftsführer der Gebietsweinwerbung Frankenwein-Frankenland. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes und der Goldenen Ehrennadel des Tourismusverbandes Bayern lebt heute als freier Journalist und Autor überwiegend in Berlin.

1 Gedanke zu „Neuer Bocksbeutel für Franken?“

  1. Ein toller Kommentar von Jochen Freihold!

    In den 1970er Jahren hatte ich Gelegenheit, ihn auf Pressefahrten kennenzulernen. Unvergessen ist seine Zeitschrift „Bocksbeutelkunde“. So etwas fehlt heute! Mit seiner Hilfe habe ich die Liebe zum Frankenwein entdeckt, hoffentlich geht man in Franken jetzt nicht den falschen Propheten auf den Leim.

    Statt alte Traditionen in Frage zu stellen sollte man mehr fürs Image tun: Mir konnten offizielle Stellen noch nicht einmal beantworten, ob es für den Bocksbeutel passende Weinregale gibt. Vielleicht wäre das mal ein neues Aufgabengebiet!

    Hans-Walter Scheffler

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