Offizier und Gentleman (5)

Stacheldraht, ein Drama von Wolf Justin Hartmann, geschrieben 1932, uraufgeführt 1936 in Weimar, nach einer weiteren Aufführung in Köln verboten, verarbeitete seine Erlebnisse in britischer Gefangenchaft 1918 und 1919.Am 19. September 1918 kam es zur „Palästinaschlacht“ (die Engländer nennen diese Schlacht „Battle of Mediggo“, manchmal „Battle of Armaggedon“). Auf breiter Front greifen die Engländer an, vielerorts derdurchbrechen sie die türkischen Stellungen, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Der historischen Gerechtigkeit halber muss aber auch gesagt werden, dass die türkischen Bataillone, von ihren Versorgungseinheiten seit längerer Zeit weder ausgerüstet noch verpflegt, im Durst und Hunger und halbnackt dem Trommelfeuer nicht standgehalten hatten.

Den rund 3.000 berittenen Truppen und 32.000 Infanteristen mit ihren 402 Geschützen auf türkisch-deutscher Seite stehen 12.000 alliierte Kavalleristen und 57.000 Infanteristen mit 540 Geschützen und zahlreichen Flugzeugen zur Verfügung. Dazu treten die arabischen Milizen, die Oberstleutnant T. E. Lawrence mit viel Geld rekrutiert hatte und die sich vor allem durch ihre Raub- und Mordlust auszeichnen.

Diese Schlacht, in der es zu Massakern an türkischen (aber auch deutsch-österreichischen) Gefangenen durch Arabermilizen kommt, ist ein Hauptbestandteil des aufwändigen Spielfilmes mit Peter O´Toole als „Lawrence von Arabien“. In ihm wird gezeigt, wie die Nachhut einer sich ergebenden türkischen Nachhut niedergemetzelt wird.

Lawrence, von Selbstüberschätzung und Eitelkeit nicht frei, hat diese Szene in seinem Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“ geschildert:

Der dritte und schwächste Teil bestand zumeist aus Deutschen und Österreichern, um ihre Maschinengewehre gescharrt. Sie verteidigten sich geradezu großartig, und trotz unseres kühnen Draufgehens wurden wir immer wieder zurückgeworfen. Die Araber fochten wie der Teufel, der Schweiß trübte ihre Augen, der Staub dörrte ihre Kehlen, Blutdurst und Rache durchzitterten ihren Körper, daß ihre Hände kaum das Gewehr zu handhaben vermochten. Auf meinen Befehl – das einzige Mal in diesem Krieg – wurden keine Gefangenen gemacht.

 

Schließlich ließen wir von dieser trotzigen Abteilung ab und machten uns an die beiden anderen Teile der auseinandergerissenen Kolonne. Sie hatte sich schon in Panik aufgelöst, und als die Sonne sank, waren sie fast bis auf den letzten Mann niedergemacht, und reiche Beute war gewonnen.

Allerdings ist es auch auf türkischer Seite zur Grausamkeiten während der Feldzüge gekommen. Ein Beispiel: Am 29. April 1916 hatten bei Kut al-Amara, 140 km südöstlich von Bagdad, 9300 indische Soldaten und 2500 Briten vor einer türkischen Übermacht kapituliert. Beim Todesmarsch nach Anatolien starben 4250 Gefangene. So war es kein Wunder, dass sich, als die Türken auf dem Rückzug waren, auch hier wieder der alttestamentarische Satz bestätigte: Wer Wind sät, wird Sturm ernten!

Jedenfalls bewirkt dieser Zusammenbruch der türkischen Front im September 1918, dass unzählige kleine und kleinste Trupps von Deutschen, die der 7. türkischen Armee zugeteilt waren, bedrängt von Engländern und Arabern, ohne genügend Wasser, Verpflegung und Munition, jetzt auf eigene Faust ihr Leben retten und sich zur eigenen Truppe durchschlagen müssen.

„Ordnung und Zusammenhang“ [der türkischen Truppen], so Lawrence in seinem Buch,

hatten sich völlig gelöst; in verlorenen Haufen trieb die Masse der Türken im stürmischen Wind dahin, schoß unsinnig in die Luft und lief bei jedem Zusammenstoß mit Freund und Feind blindlings auseinander…

 

Eine Ausnahme allein machten die deutschen Abteilungen und hier zum erstenmal wurde ich stolz auf den Feind, der meinen Bruder getötet hatte. Sie waren zweitausend Meilen von ihrer Heimat entfernt, ohne Hoffnung in fremdem unbekannten Land, in einer Lage, verzweifelt genug, um auch die stärksten Nerven zu brechen. Dennoch hielten ihre Trupps fest zusammen, geordnet in Reih und Glied, und steuerten durch das wild wogende Meer von Türken und Arabern wie Panzerschiffe, schweigsam und erhobenen Hauptes. Wurden sie angegriffen, so machten sie halt, gingen in Gefechtsstellung und gaben wohlgezieltes Feuer. Da war keine Hast, kein Geschrei, keine Unsicherheit. Prachtvoll waren sie.

In dieser Beschreibung bezieht sich Lawrence auf das bereits erwähnte Infanterieregiment 146 (1. Masurisches) unter ihrem Kommandeur, Oberstleutnant von Hammerstein. Es begann am 24. September 1918, als dieses tapfere ostpreußische Regiment von starken Kräften angegriffen wurde und sich, wie es der englische Oberstleutnant Lawrence beschreibt, eine Woche lang in guter Ordnung gegen englische Soldaten, arabischen Milizen und plündernden Straßenpöbel von Deraa durch das im Aufruhr befindliche Damaskus, ihren Abzug nach Norden durchgesetzt hatte. Man kann in der Tat davon ausgehen, dass dem eine ungewöhnliche Leistung zugrunde liegt muss, denn Lawrence neigt in seinem Buch an sich nicht dazu, den deutschen Gegner besser zu behandeln als den türkischen Soldaten, dem er wenig bis überhaupt keinen Respekt zollt.

Zwei Tage vor dem Durchbruch der ostpreußischen Bataillone liegt Wolf Justin Hartmann, als Verbindungsoffizier der beiden bereits erwähnten 16. und 19. (türkischen) Infanterie-Divisionen, am 22. September 1918 in einer Fellachenhütte bei Bet Sche‘an, das die Araber Baisan nennen [bei Hartmann Beisan].

Sein Auftrag, den er vom Führer des Asienkorps, Oberst Gustav von Oppen, erhalten hatte:

Sie stehen dafür ein, daß die beiden Divisionen Rushdi und Mohammedin nicht vor 7 Uhr morgen früh ihre Positionen räumen, eher bis zum letzten Mann kämpfen, bis die deutschen Verbände den Jordan [Raum östlich Tell el Tum] überquert haben.

Allerdings hatte die 16. Division nur noch rund 800 Mann, die 19. Division etwa noch 500. Zusammen mit den 700 deutschen Soldaten des Asienkorps bestand die gesamte Streitmacht, die man den Commonwealth-Divisionen entgegenstellen konnte, aus ca. 2000 Soldaten, also in etwa die Stärke eines Infanterieregimentes im Frieden.

In seiner Erzählung „Jene Fellachenhütte“, mit ihren Teilen „Befehl“, Gehorsam“ und „Vollzug“, schreibt Hartmann von den Angriffen der Commonwealth-Truppen, vom Kämpfen und Sterben auf biblischem Boden, er berichtet von letzten Gedanken und letzten Worten, vom Rückzug, fast Flucht, ehe die Übermacht der Feinde siegt und der Tod sein blutiges Handwerk, ohne Rücksicht auf Alter und Rang, beginnt.

Nach einem Bombardement durch englische Flugzeuge, denen weder die türkische Armee noch das Asienkorps etwas entgegensetzen können, greifen die Engländer mit gewaltiger Überlegenheit an. Binnen kürzester Zeit stehen die deutsch-österreichischen Verbände allein.

Schlacht von Megiddo, September 1918: Durch britische Flugzeuge zerstörte türkische Wagen und Lafetten auf der Nablus-Beisan Straße. | Quelle: Imperial War Museum.
Schlacht von Megiddo, September 1918: Durch britische Flugzeuge zerstörte türkische Wagen und Lafetten.

Die kampfesmüden türkischen Truppen ergaben sich zu Tausenden, die 7. und 20. Division desertierte nach hinten. Die wenigen deutschen Bataillone, wir haben es bereits am Beispiel des Infanterieregimentes 146 gehört, zogen sich hinhaltend kämpfend zurück und deckten so auch den Rückzug der wenigen intakt gebliebenen türkischen Verbände.

Während um Hartmann herum die Mehrzahl der türkischen Soldaten regelrecht abgeschlachtet werden, gelingt es ihm, sich am 23. September vor den Engländern und den Beute suchenden Arabern, in einem der zahlreichen Dornenbüsche in der Nähe des Jordanufers bei Bet Sche’an, zu verbergen. Ein Reiter in Khaki kommt näher und näher, ein australisches Liedchen auf den Lippen. Die Schlacht und die Zeit danach haben Hartmann ermattet, so schreibt er „Im Dorn“ und fährt fort:

Er [Hartmann] macht die Augen zu, schwer fällt sein Kopf auf die Hände.

 

Er liegt lang ausgesteckt; kaum, dass er die Dornen noch spürt.

 

Er möchte schlafen und kann es nicht. Er muss an die Jahre denken, die er in den Gräben war. An viele Tote denkt er, die er einstmals kannte; und die ihm treu und lieb geworden sind. Und die Letzten sind Ismed und Dahut, Ali, Schükri, Nuridin, der Stabschef. Und Rushdi Bey, sein letzter Kommandeur. Und … und … Ein Seufzen bricht aus ihm, ein menschlicher Laut aus der Tiefe; und doch ein Laut der klagenden Kreatur …

 

… Stumm schauen zwei Reiter auf einen Dritten im Dorn.

 

Blank senken sich zwei Lanzen.

 

Die Waffen! Fordert einer. Er zeigt eine leere Tasche.

 

Ob er verwundet sei? Er verneint mit einem Schütteln.

 

Come on! Sagt der Andere wieder. Es ist ein Befehl des Feindes, der erste, der zu ihm kommt. Er ahnte damals noch nicht, wie oft und wie lange Zeit dieses „Come on“ nun über ihm walten würde. Und steigt aus dem Busch heraus.

Leutnant im deutschen Asienkorps Hartmann ist gefangen genommen worden von Lanzenreitern der Australian Mounted Division, einer berittenen Infanteriedivision.

Er, der als Verbindungsoffizier zu gleich zwei Divisionen, die sich auf dem Rückzug befanden, kommandiert worden war, hatte auch nicht verhindern können, dass im Morgengrauen des 23. September große Teile der Divisionen, trotz gegensätzlicher Befehle, teils fluchtartig dem Jordanufer entgegen gestrebt waren, um die andere, vermeintlich sichere Jordanseite erreichen zu können.

Der Divisionsstab der 16. Division, bei dem er sich in der Fellachenhütte aufgehalten hatte, war, zusammen mit dem Kommandeur Rushdi Bei, kämpfend von den australischen Kavalleristen überritten worden und war gefallen.

Hartmann allerdings war jetzt „POW“, ein Prisoner of War.

Im Schlangenring berichtet er von seinem weiteren Schicksal:

Ich stand vor dem Kommandeur der australischen Lanzenreiter, die uns niedergeritten hatten, als unsere Munition verschossen war. Unbeschreibliche Szenen hatten sich abgespielt; noch schrillte mir das Geschrei der Massakrierten, Abgeschlachteten in den Ohren, bebte im Blut und zerrte an den Nerven. Der Kommandeur hatte sich dahingehend informiert, daß ich der einzige Deutsche sei, der bei dieser türkischen Nachhut in seine Gewalt geraten war, und legte sichtlich meiner Vernehmung größte Bedeutung bei…

Danach wird Hartmann einem jungen Reiter übergeben, der ihn zur Sammelstelle bringen soll, ehe es weiter in Kriegsgefangenenlager nach Ägypten gehen sollte. Doch der Australier hat es auf seinen Schlangenring, ein Geschenk des Vaters, abgesehen.

Eine Gruppe deutscher Kriegsgefangener während des Kampfes bei Semakh am See Genezareth 1918.  Quelle: Australian War Memorial.
Deutsche Kriegsgefangene bei Semakh 1918.

Hartmann weigert sich, den Ring herzugeben. Die Situation eskaliert und wird für ihn immer bedrohlicher. Hartmanns Kehle ist vor Durst vertrocknet. Halb ohnmächtig wartet er auf die Kugel des Australiers, der ihn, nach vier Jahren an der Front, jetzt, wo sein Frieden beginnt, für den Schlangenring töten will …

Doch dann, fast wie ein Wunder:

Er lacht und winkt und steigt vom Pferd und klopft mich auf die Schulter und streichelt mich, als wäre ich sein bester Freund. Ich trinke aus seiner Flasche, ich rauche aus seiner Pfeife. Wir sitzen im Schatten des Dornenbusches, inmitten welker Gräser. Wir sprechen von ihm und mir, von einem Schlangenring und von seiner großen Freude, daß er Mensch geblieben war. Wir sprechen so allerlei.

 

An der Sammelstelle machen wir Shake Hands.

 

Es war ein fester, ein klammernder Händedruck.

 

Ich weiß seinen Namen nicht. Vielleicht ist er noch gefallen. Vielleicht hat er´s überlebt und lebt wieder in Australien. Und wenn er seinen Sohn in den besonderen Nächten, da nur das Mannestum gilt und weit und breit kein Lächeln und kein Kuß, kein Singen und kein Schoß von einem Weibe ist, wenn er in solchen Nächten etwas vom Krieg erzählt, dann, das ist meine Meinung, spricht er auch von einer Stunde am hohen Mittag in dem Jordantiefland, da er mit einem Feind eine Unterhaltung hatte, oho! Eine Unterhaltung! Man führt sie nicht oft im Leben, denn der Tod ist ihr zu nah.

Welch wunderbarer Abschluss der Erzählungen Hartmanns, die sich mit seinem Leben im Ersten Weltkrieg auseinandersetzen. Beim Lesen empfindet man keinen Hass, sondernd eher eine verstehende Kameradschaft, die auch vor dem Gegner nicht Halt macht.

Bis zum 24. Oktober 1919 dauert seine Internierung im ägyptischen Offizier-Gefangenenlager Side-Beshar in der Nähe von Alexandrien. Dann trifft er, nach dem Schiffstransport nach Deutschland, am 19. November 1919 in München ein, wo er am nächsten Tag aus dem Heer entlassen wird.

Nach über fünf Jahren kehrt Hartmann heim nach München. Jetzt spricht er sogar etwas Türkisch und Arabisch!

Über ein Dutzend Jahre später, im Herbst 1932, erscheint sein Weltkriegs-Drama „Stacheldraht“. Die Handlung spielt im ägyptischen Gefangenenlager, wo deutsche Soldaten, Offiziere wie Mannschaften, festgehalten werden. Die meisten dieser Menschen tragen keine ordnungsgemäße Uniform mehr, so verwischen die äußeren militärischen Unterscheidungsmerkmale. Es sind alle Altersstufen vertreten.

Im Klappentext schreibt Hartmann:

Die Eindrücke jener unvergesslichen Zeit, die ich hinter dem Stacheldraht verbrachte, haben nach einer Wiedergeburt, einer Schöpfung verlangt. Hierbei war mein Bemühen, jene Atmosphäre vor dem Zuschauer auferstehen zu lassen, in der wir alle wie in einem langsam zersetzenden und zerstörenden Qualm zu atmen gezwungen waren. Denn die Eintönigkeit eines abgeschiedenen, allzuengen, mit menschlichen Hoffnungen und Enttäuschungen, Süchten und Qualen überbürdeten Raumes und der teil aufwühlende, teils lähmende Zusammenbuch der Heimat haben unser verwaltetes Leben beherrscht. „Die Tragödie einer Gemeinschaft“ soll deshalb auch der Untertitel meines Werkes heißen; es hat nicht einen oder mehrere „Helden“ im Sinne des Theaters, es hat kleinere und größere Rollen. Und sein eigentlicher Inhalt ist jenes gemeinsame Geschick, das über uns alle gleich einem Fluch gesprochen war und eines der erschütterndsten Probleme des mit Erschütterungen so überreich erfüllten Krieges bedeutet.

 

Ich bin mir bewußt, daß ich kein „Unterhaltungsstück“ geschrieben habe. Denn dazu, glaube ich, ist der Gegenstand meines Schaffens ein zu ernster, zu wichtiger, zu metaphysischer – wenn man so sagen will. Schon deshalb, weil ich in meinem Streben eine Art Vermächtnis sah, die Einlösung eines Gelöbnisses und einen späten, aber gerade heute vertretbaren, ja, erforderlichen Versuch, jenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die meine Schicksalsgenossen, meine Leidensgefährten, meine Kameraden waren, und ein Recht darauf besitzen, daß ich von ihnen künde. Nicht nur um ihretwillen, auch um des Lichtes willen, das unsere Zukunft immer stärker erhellen möge.

„Stacheldraht“ wurde zweimal aufgeführt, 1936 in Weimar und 1937 in Köln; eine dritte geplante Aufführung in München wurde von den Nazis verboten.

Die Gefallenen und Verstorbenen des Deutschen Asienkorps ruhen im heißen Dünensand der Wüste von El Tih oder in den Bergen von Moab und Judäa.

Die Masse der am Ende rund 25.000 deutschen und österreich-ungarischen Soldaten, die sich an der türkischen Front aufgehalten hatten, konnte wieder nach Hause. Ihnen war, gemäß der Bedingungen des Waffenstillstandsvertrages vom 31. Oktober 1918, der freie Abzug in die Heimat gewährt worden.

Das deutsche Asienkorps wurde im Eisenbahntransport nach Konstantinopel transportiert und dort interniert. Die deutschen Soldaten kehrten, teils über das Schwarze Meer und die Ukraine, und, teils ab Januar 1919 über das Mittelmeer, nach Deutschland zurück. Die österreichischen Rückkehrer trafen am 24. Januar 1919 in Wien ein.

Sie kamen nicht als Sieger nach Hause!

Aber gab es die nach diesem Krieg überhaupt? Das freie Arabien, für das der arabische Stamm der Haschemiten unter Führung Lawrence von Arabien auf Seiten Englands kämpfte, scheiterte am unbeugsamen Imperialismus der Großmächte Großbritannien und Frankreich.

Allerdings hatten sich diese beiden Länder damit eine politische Laus in den Pelz gesetzt, die ihnen, 1956 in der Suez-Krise, eine große politische Blamage einbrachte. Und dass die Probleme der an der südöstlichen Küste des Mittelmeeres liegende Region Palästinas, die ungefähr das Gebiet des heutigen Israel, Golan, Gazastreifen, Westjordanland und Jordanien ausmachen, völlig ungeklärt sind, hören und lesen wir täglich in den Nachrichten.

Schließlich war der Preis, den die Armeen des Commonwealth und der Mittelmächte zahlten, enorm: Etwa eine Million Menschen, die ermordeten Armenier nicht mitgerechnet, waren ums Leben gekommen. Der gesamte Nahe Osten versank im Chaos.

Doch ehe ich mich wieder auf Wolf Justin Hartmanns weiteres Schicksal konzentriere, soll doch noch einmal ein Blick geworfen werden auf die Gründe des Zusammenbruchs der Front, diesem plötzlichen Kollaps, dem auch viele deutsche Soldaten zum Opfer gefallen waren.

Der ehemalige Obergeneralarzt, Dr. Steuber, 1917/18 Armeearzt in Palästina, hat als intimer Kenner der Zustände und als direkt Betroffener, die Ursachen in „Jilderim“ treffend beschrieben:

Gewiß war die Türkei durch lange unglückliche Kriege und innere Umwälzungen militärisch und finanziell geschwächt in den Weltkrieg eingetreten, gewiß sah sie sich in der britischen Weltmacht einem Feinde gegenüber, der, lebenskräftig, über unbegrenzte Mittel an Menschen und Kriegsgerät verfügte und zudem unmittelbar hinter seinen Fronten immer von neuem aus dem Vollen schöpfen konnte.

 

Aber der wirkliche Grund des Zusammenbruchs lag tiefer, lag in der inneren Zersetzung des ganzen türkischen Staatsorganismus, einem bis in die Wurzeln hinein faulen Verwaltungssystem, jener Paschawirtschaft, die allen Reformen abhold, die reichen Schätze des Landes verwerflichen Eigeninteressen nutzbar machte, statt sie zum Wohle des Ganzen zu verwenden. Zu all dem trat endlich eine gänzlich verfehlte Regierungspolitik gegenüber einem Teil der eigenen Landesgenossen. Das wehrlose Volk der Armenier wurde dadurch der Ausrottung nahegebracht, an der Volkskraft und dem Fanatismus des Arabertums in Syrien und dem Ostjordanland mußte die türkische Gewaltpolitik fehlschlagen und zum eigenen Verderben werden.

Was Wolf Justin Hartmann ab 1920 in Deutschland unternommen hat, darüber berichtet eine andere Geschichte. Wohl hielt es ihn hier nicht lange, seine unruhige und neugierige Natur machte aus ihm einen Globetrotter und führte ihn bis nach Südamerika.

Nach seinen Reisen schrieb er die Geschichten von der Westfront und dem Asienkorps, die hier zum Teil vorgestellt wurden. Hartmann nennt, im Nachwort zu „Alte Weise im schimmernden Schweigen“, was ihn zum Schreiben bewogen hatte:

Erzählungen, die das Geschehen im Krieg zu ihrem Daseinsgrund haben; und aus der Tiefe dieses Grundes wuchsen, bis sie, nach Jahr und Tag, zwangsläufig, dem Gesetz des Schöpferischen untertan, ein Erleben wiedergaben, das nach Befreiung aus dem Verborgenen, das nach Gestaltung drängte. „Episoden vor dem Schicksal“ könnte man sie bezeichnen. Skizzenhaft nur zeichnen sie die Linien von Menschen, Landschaften und Begebenheiten, die einstmals um uns waren und unser Fühlen und unser Tun beherrschten in unlösbarer Verstrickung. Winzige Ausschnitte einer unermesslichen und unfasslichen Wirklichkeit sind ihr Inhalt geworden: aber Herzen schlagen in ihnen, mit Freude und mit Leid, mit Hassen und mit Lieben, voll Zuversicht und Bangnis, wie sie damals mit unserem Herzen dem Feind entgegenpochten.

 

So musste ich mich auch wieder jener erinnern …, die mit mir … nach dem linken Flügel ritten.

 

Mit Menschen, mit Kameraden, die plötzlich in einer Stunde – und wer will erklären, wie sich diese Stunde bestimmt? – in mir auferstehen müssen, lange nachdem man wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, und also entlassen wurde aus der Vergessenheit, blasse Schemen zuerst, die sich dann mehr und mehr blutvoll mit Leben füllten, bis ihre Stimmen und ihre Gebärden, ihre Gesichter und ihre Augen wie vor Jahren in mich drangen. Als wollten sie mich beschwören, dass ich von ihnen erzähle – sei´s nur: ihres Opfers willen.

Damit beschließe ich den Abschnitt „Erster Weltkrieg“ in Wolf Justin Hartmanns Leben, um mich dem anderen Thema zu widmen, der Zeit im Zweiten Weltkrieg.

Fortsetzung: http://www.hmhensel.com/freiwillig-zur-division-brandenburg/

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