Gefälscht ist auch ein Dokument

Sulzfeld am Main existierte schon vor über 1000 Jahren. Als Albrecht Dürer am 16. Juli 1520 auf seinem Weg in die Niederlande an Sulzfeld vorbeifuhr, war es bereits ein bedeutender, befestigter Ort. Den Sulzfeldern war dennoch nicht zum Feiern zumute, weil das Dokument, auf dem ihr Ort erstmals für das Jahr 1007 nachgewiesen ist, eine der vielen mittelalterlichen Urkundenfälschungen ist.
Nein, Sulzfeld feiert nicht.

Volksvertreter entwickeln mitunter eine eigenartige Logik. In Sulzfeld, dem fränkischen Dorf der Meter­brat­würste am Main, wurde das Nachfeiern der ersten ur­kund­lichen Erwähnung abgesagt, weil die Urkunde, in der das Dorf für das Jahr 1007 erstmals nachgewiesen wurde, eine Fälschung sei. Das zergeht auf der Zunge, denn mit dieser Begründung könnten ungefähr ein Viertel aller deutschen Städte und Dörfer keine Jubiläen mehr feiern, denn ein Viertel der mittelalterlichen und auch ein Teil der neuzeitlichen Stiftungs- und Besitzstandsurkunden sind Fälschungen. Und dieses Viertel sind nur die, bei denen man die Fälschung heute noch nachweisen kann.

Für Sulzfelds Heimatforscher war es in den letzten Monaten allerdings wirklich knüppeldick gekommen. Zunächst hatte sich herausgestellt, daß in einer Urkunde von 915, von der man bisher glaubte, daß Sulzfeld darin das erste Mal erwähnt worden sei, in Wirklichkeit von Sulzheim (bei Gerolzhofen) die Rede ist. Deshalb war schon aus der für 2015 geplanten 1100-Jahr-Feier nichts geworden. Das aufgrund der nächstältesten Urkunde – jener von 1007 – aber nun eigentlich nachzufeiernde Jubiläum „Tausend Jahre Sulzfeld“ hat der Gemeinderat allerdings ganz ohne Not selbst versiebt.

Beispiel für Sulzfeld: Gefälschte Segnitzer „Stiftung“ von 1142

Die Sulzfelder hätten sich ein Beispiel an ihrer Nachbargemeinde Segnitz nehmen sollen. Deren erste urkundliche Erwähnung von 1142 fand man nämlich auch in einer Fälschung, die nicht nur als höchst interessanter Teil der Geschichte publiziert wurde, sondern auch Anlaß für ein unvergeßliches Jubiläumsjahr zum 850jährigen Bestehen des Ortes im Jahre 1992 war. In derselben Urkunde wird übrigens auch Sickershausen – heute ein Kitzinger Ortsteil – erstmals erwähnt.

Eine gefälschte oder verfälschte Urkunde ist nämlich nicht nur historisch besonders interessant, sondern gerade sie ist ein treffender Beweis, daß es den entsprechenden Ort nicht nur schon gab, sondern daß er auch Bedeutung hatte. Denn wäre es anders gewesen, hätte sich keine Fälschung gelohnt. Man kann nur hoffen, daß künftige Gemeinderäte in den Jahren 2057 und 2107 ihren Bürgern nicht abermals ihr Jubiläum vermiesen.

Der Vorgang macht allerdings neugierig: Warum sind denn so viele mittelalterliche Urkunden Fälschungen oder warum wurden sie verfälscht?

Typischerweise wurde nämlich in den Berichten von der Absage des Sulzfelder Jubiläums wieder mal ein großes Geheimnis um den Grund für die Fälschung gemacht. Er wurde nicht öffentlich bekanntgegeben und auch vom Berichterstatter der Lokalzeitung nicht recherchiert. Man darf schon deshalb getrost annehmen, daß die Nutznießer des kriminellen Vorgangs, wie fast immer in derartigen Fällen, fromme Kleriker waren.

Wie es zu solchen Vorgängen kam, ist sehr gut an der Urkunde vom 1142 darzustellen, in der die Existenz der Sulzfelder Nachbarorte Segnitz und Sickershausen erstmals nachgewiesen wird. Dieses lateinische Schriftstück, auf den ersten Blick eine fromme Schenkungsurkunde, liegt im Staatsarchiv München unter der Nummer WU 5640.

Demnach schenkten im Jahr 1142 Herr Altum und seine Frau Judith dem Würzburger Neumünster-Stift reiche Güter: Ein Hof und zwei Weinberge in „hossenfurt“ (Ochsenfurt), zwei Weinberge in „fricchenhusen“ (Frickenhausen), zwei Joch Weinberge in „villa segeniz“ sowie 22 Joch Feld, zwölf Joch Weinberge und je einen Hof in „villa sickereshusen“ und in „villa Stochenn“.

Jener Herr Altum war Ministerialer (Verwalter) am Stift Neumünster in Würzburg und erbat sich als Gegenleistung für seine großzügige Schenkung lediglich, daß die Mönche des Neumünsters, „wenn sie diesen Lohn für seine Sünden erhalten haben, eifrig mit demütigen Gebeten Gnade für sein Seelenheil erbitten“. Soweit der Text.

Fromme Mönche fälschten Urkunden zugunsten ihrer Kirche

Diese Urkunde gehört indes zu jenen zahlreichen, an die Kirchenvertreter nicht gerne erinnert werden: Die Mönche des Stifts haben sie nämlich verfälscht, um sich, wie man heute schreiben würde, die Güter des Altum mit erheblicher krimineller Energie anzueignen. Für die Jahreszahl 1142 hat es dennoch seine Richtigkeit, denn wäre Altum damals nicht tatsächlich Eigentümer der Güter gewesen, hätte es sich für die Mönche im Neumünster auch nicht gelohnt, eine zweifellos vorhandene echte Urkunde in betrügerischer Absicht neu zu fassen.

Mit der Neumünster-Urkunde des Jahres 1142 haben sich bereits mehrere wissenschaftliche Autoren befaßt. Nach ihren Untersuchungen bietet sich folgendes Bild: Altum und Judith vermachten ursprünglich zwar tatsächlich ihre Güter dem Stift, aber unter der Bedingung, daß die Nutznießung in der Familie bleibt.

Das ist kein Widerspruch. Das Mittelalter war nicht nur für Freidenker eine gefährliche Zeit, sondern gerade auch für wohlhabend gewordene Leute. Wenn sich der Klerus oder auch die weltlichen Herrscher Güter oder Dinge aneignen wollten, hatten einfache Leute dem wenig entgegenzusetzen. Mancher versuchte dies zu umgehen, indem er seine irdischen Güter gleich „freiwillig“ unter den „Schutz“ der Kirche oder eines Landesherren stellte und dann für die Nutzung einen jährlichen Zins zahlte, sozusagen ein „Schutzgeld“.

Eine gefälschte Stiftungsurkunde zugunsten der Kirche aus dem Jahre 1142, durch die unter anderem die Existenz von Segnitz und Sickershausen (heute ein Stadtteil von Kitzingen) erstmals nachgewiesen werden.
Gefälschte Urkunde von 1142

Als Erben ihres Vermögens und ihrer Rechte bestimmten Altum und Judith zur Mitte des 12. Jahrhunderts nämlich ihren Sohn Walthard, der Kanoniker (Domherr) am Neumünster war. Er und alle künftigen-Besitzer hatten demnach für die Nutzung Abgaben, also das beschriebene „Schutzgeld“, an das Neumünster zu entrichten. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts, soviel steht fest, wurde die Urkunde dann jedoch verfälscht, offenbar als Walthard starb und sein Erbe unter die Verwandten aufgeteilt werden sollte.

Diese Aufteilung war nicht im Interesse des Neumünsters und man faßte die jahrzehntealte Urkunde neu. Eingefügt wurde ein Passus, wonach bereits Altum bestimmt hätte, daß nach Walthards Tod die Güter niemals aufgeteilt werden dürften, sondem nur derjenige der Erbe sei, „dessen Vorgänger der Walthard ist“. Im Klartext bedeutet dies jedoch nichts anderes, als daß die Kirche erbt, genauer: die Klosterbrüder im Neumünster.

Denn Walthard als „Gottesmann“, der ohne Ehefrau leben mußte, konnte zwar – damals wie heute wegen des Zölibats häufig – durchaus Kinder, aber keine legalen Nachkommen haben. Sein Vermögen fiel also, wie es in der Urkunde heißt, an den „Altar des heiligen Kilian“!

Tatsächlich konnte sich die Kirche durch diese Fälschung die Ländereien aneignen. Man könnte nun vermuten oder darüber streiten, ob danach immer noch einem oder mehreren Verwandten des Walthard weiterhin die Nutzung – gegen Schutzgeld – „großzügig“ gestattet wurde. Die Verfügungsmacht über diesen Besitz lag jedenfalls nun, wie in vielen ähnlichen Fällen, bei den Klerikern. Was sollten die Erben, die gewiß keine Kopie der Originalurkunde besaßen, auch machen? Es war damals nicht ungefährlich, auch nur ein Wort anzuzweifeln, das ein Kirchenmann gesprochen hatte, geschweige denn eine eindrucksvolle kirchliche Urkunde, deren lateinischer Text ohnehin nur von „Schriftgelehrten“ gelesen und interpretiert werden konnte.

Eindruck heischend prangte auf dem falschen Papier ein großes Siegel, eine sogenannte „Rota“ mit den Initialen des Bischofs von Würzburg. Auch diese Rota ist gefälscht – eigentlich durfte nur der Papst eine Rota führen. „Es scheint“, so schreibt der Historiker Peter Johanek in seiner 1969 erschienenen Arbeit Die Frühzeit der Siegelurkunde im Bistum Würzburg über die gefälschte Urkunde, „als habe der Täter selbst kein rechtes Zutrauen zu seinem Werk gehabt und wollte durch dieses Zeichen die Glaubwürdigkeit des Dokuments eindringlich demonstrieren.“

Schon seit der Spätantike waren derartige Fälschungen des Klerus gang und gäbe. In der zehnbändigen „Kriminalgeschichte des Christentums“ des kürzlich verstorbenen fränkischen Kirchenhistorikers Karlheinz Deschner wird gerade für das Bistum Würzburg eine Fülle von kriminellen Akten der Gottesdiener festgestellt.

Quellen:
• Norbert Bischoff, Hans Michael Hensel: Villa Segeniz, Geschichten aus der Geschichte eines Dorfes in Franken. Segnitz: Zenos Verlag 1992.
• Thomas Frenz: Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit. Stuttgart: Franz Steiner Verlag Wiesbaden 2000.
• Hans Michael Hensel: „Verpaßt! Sickershausen hätte heuer 850. Geburtstag gehabt.“ – Mainpost, Lokalausgabe Kitzingen, 31. Dezember 1992.
• Peter Johanek: Die Frühzeit der Siegelurkunde im Bistum Würzburg. Würzburg: Stürtz 1969.
• rw: „Ohne Urkunde keine Feier. 1000-Jahr-Feier von Sulzfeld wird ersatzlos gestrichen.“ – Mainpost (Lokalausgabe Kitzingen), 18. Oktober 2014.

1 Gedanke zu „Gefälscht ist auch ein Dokument“

  1. Hallo hmh.,

    Hab’s mit Vergnügen gelesen. Das mit den Fälschungen natürlich. Ich weiss darum schon seit langem. Viele Klöster wurden nur so derart mächtig. Zudem eigneten sie sich so auch Land an, welches in unklaren Besitzverhältnissen war, auch gegen Adlige wurde das Fälschen ja oft angewandt.

    Meine Familie heisst zur Hälfte Bodenmann. Das heisst, es ist ein Rufname, der im 15ten Jahrhundert so eingetragen wurde, früher hiessen wir anders. Den Eintrag fand man im Stiftsarchiv St. Gallen.

    Die Roth, Rot, Rotha usw. und die Bodenmanns waren seit vielen Jahrhunderten hier ansässig und verheirateten sich mehrere male untereinander, was die Sache sehr unübersichtlich macht.

    Jedenfalls war Bodenmann der Name meine Mutter, und der galt eben ab ca. 1550. Der Rufname wurde offenbar so eingetragen, weil mein Urahn mütterlicherseits für das Kloster in St. Gallen als eine Art von Landvermesser arbeitete. Hatten also 2 Bauern einen Landstreit, so rief man den… ja, eben den „Bodenmann“ um es zu klären.
    Der hatte dazu aber auch ein Siegelrecht bekommen, was wohl sowas wie eine Prokura bedeutete, und das Siegelzeichen wurde in einem Siegelbuch eingetragen.

    Ich nehme mal an, schreiben musste mein Urahn damals also können. In der Zeit war das was. Jedenfalls gab es dann einige Ratsherren und andere Beamte in besagter Ahnenreihe, was dann wohl die Folge des Amtes gewesen sein dürfte.

    Naja, vielleicht hat er auch immer zu Gunsten des Klosters gearbeitet….(((-:

    Die Dinge weiss ich ein wenig, weil 1940 der Archivar der Stiftsbibliothek vom Kloster St. Gallen mit meinem Grossvater (Bodenmann) gut befreundet war. Und mein Grossvater hatte einen stattlichen Bauernhof und dazu ein Restaurant. Offenbar sagte der damals zu meinem Grossvater, er habe in einem alten Buch etwas über einen unserer Vorfahren gefunden, was diesen dann auch interessierte.

    In Zeiten von Grenzbesetzung und Aktivdienst war in der Schweiz alles rationiert, und man musste immer mit Bargeld und Marken kaufen.

    Also kam man nun überein, das der Archivar immer wenn er ein entsprechenden Buch untersucht, auch ein Auge auf die Namen Roth und Bodenmann werfen würde und es aufschreibt. Dafür bekam er immer Sonntags eine Portion Speck und Saft – ohne Marken und Geld natürlich –, aber nur solange, bis der Krieg zu Ende ist und die Rationierung aufgehoben würde.

    Nun ja, ein kluger Bauer gab nicht jedes neue Ferkel an und so hatte man immer ein paar übrig. Da ein Schwein und dort eins… (((-:

    Der Archivar suchte also nach Informationen über unsere beiden Familien und förderte so einiges zutage. Mein Grossvater erzählte mir das, als ich ein Junge von vielleicht zehn Jahren war… und immer wieder so wie das Grossväter damals eben machten, wenn sie vor dem Haus sassen und ihnen nach einem arbeitsreichen Leben langweilig war.

    Nur die Pointe an der Sache war eben, das der Krieg von dem man dachte, er würde in ein paar Monaten bald einmal zu Ende sein, dann noch 5 weitere Jahre dauerte.

    Nun, es kam dadurch dann so einiges zusammen, was man heute kaum noch bezahlen könnte, wollte man einen Genealogen damit beauftragen. Aber mein Grossvater musste ebenfalls über die ganze Zeit sein Versprechen halten.

    Und jeden Sonntag so eine Portion Speck mit saurem Saft war in der Kriegszeit nicht zu verachten. Aber er war einer. der sich strikte an Abmachungen hielt, koste es was es wolle. (((-:

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