Was Alice in Würzburg fand

Alice Schwarzer, nachgebildet im Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud in Berlin, Foto: Lukas Rauscher [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Alice Schwarzer (Bild: Lukas Rauscher CC BY 2.0)
Durch die Überschrift eines gestern erschienenen Artikels von Gerd Buurmann auf seinem Blog Tapfer im Nirgendwo mit dem Titel „Alice in Würzburg und was sie dort fand“ stieß ich nicht nur auf einen bemerkenswerten Erlebnisbericht auf dem Blog von Alice Schwarzer, sondern die Überschrift erinnerte mich auch an einen bei Kennern der Würzburger Kulturszene der 1920er Jahre bekannten Artikel von R. Lerhaus in der Berliner Börsenzeitung vom 25. April 1928: „Was ich in Würzburg fand.“

Die Publizistin Alice Schwarzer war von Studenten der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg zu einem Vortrag am 12. Mai über „Sexualgewalt, Interkulturalität und Recht“ eingeladen worden. Nach ihrem frei gesprochenen Vortrag stand wie üblich eine Diskussion an. In dieser wurde die Referentin von, was das Thema betrifft, offenbar ziemlich ahnungslosen, aber umso arroganter auftretenden, gut indoktrinierten Mitgliedern einer studentischen Islam-Apologetensekte als Rassistin beschimpft.

Siehe hier:
1. http://www.aliceschwarzer.de/artikel/ein-abend-wuerzburg-334477
2. https://tapferimnirgendwo.com/2017/05/22/alice-in-wuerzburg-und-was-sie-dort-fand/

Was mich dabei fasziniert, sind die Parallelen zu dem genannten Artikel von 1928 mit den dazugehörigen Ereignissen.

Im Jahre 1928 hatten sich überwiegend junge fränkische Künstler und Studenten, sowie kunst-, kultur-, architektur- und theaterinteressierte Bürger verschiedener Weltanschauungen in einer „Kulturellen Arbeitsgemeinschaft“ zusammengetan, um der muffigen provinziellen Beschränktheit ihrer Stadt etwas entgegenzusetzen. Ihre natürlichen Feinde waren prompt zur Stelle: die verzopfte städtische Möchtegern-Elite, dessen vorderste Kampftruppe sich aus Redakteuren des erzreaktionären Würzburger Generalanzeigers (Vorläufer der Mainpost) zusammensetzte. Jahrelang wurden von diesem Blatt führende Mitglieder der „Kulturellen Arbeitsgemeinschaft“ bewußt totgeschwiegen – was man bei Beschwerden offen zugab –, soweit man sie nicht mit triefender Häme, Spott und Verleumdung überziehen konnte.

Eine Frau vom Format einer Alice Schwarzer stand damals noch nicht als Referentin zur Verfügung, aber genau wie die Würzburger Jurastudenten im Jahre 2017 wollten die Mitglieder der „Kulturellen Arbeitsgemeinschaft“ vor 90 Jahren die Bürger durch Vorträge aufklären. Dazu scheute man sich nicht, umstrittene Persönlichkeiten, wie etwa den für das Projekt „Neues Frankfurt“ verantwortlichen Architekten und Herausgeber der Zeitschrift Das Neue Frankfurt, Ernst May, einzuladen, der seine Vorstellungen von einer sozial ausgerichteten Stadtentwicklung mit preiswertem, sauberen Wohnraum in grüner Umgebung auch für ärmere Menschen präsentierte. Auch heiße politische Eisen wurden angepackt.

An der Spitze der „Kulturellen Arbeitsgemeinschaft“ und damit im Fokus der veröffentlichten Meinung standen drei sehr unterschiedliche Würzburger: der Dichter, Journalist und Staatsarchivrat Ludwig Friedrich Barthel als Gründer und treibende Kraft, sein Freund, der liberale jüdische Musikdirektor am Städtischen Theater, Hans Oppenheim, als Vorsitzender, und der kommunistische atheistische Journalist und Schriftsteller Dr. Johannes Karl Koenig. Persönlichkeiten wie der damalige Intendant am Stadttheater, Paul Smolny und zahlreiche andere, auch einige bekannte Geschäftsleute, gaben als Mitglieder Rückhalt.

Barthel und Koenig schrieben zwischen 1926 und 1930 gegen die sie totschweigende Würzburger „Lückenpresse“, den Generalanzeiger, in der kleineren sozialdemokratischen Fränkischen Volkszeitung und sogar im zwar katholischen, aber in kulturellen Fragen erstaunlich modern eingestellten Volksblatt an. Das genügte ihnen aber nicht. 1927 hatten sie mit einigen anderen die Streitschrift „Würzburg eine Provinzstadt? oder die kulturelle Sendung Würzburgs“ herausgegeben, über die z. B. Kurt Tucholsky schrieb:

[…] man betrachte sich beispielshalber das aufschlußreiche Heftchen »Würzburg eine Provinzstadt?« […] Wie da gerungen wird; wie da versucht wird, das Gute von außerhalb zu adoptieren und das Eigne zu bewahren — und wie aussichtslos das alles ist […] — machtlos verbluten diese kleinen Gruppen unter den Mächtigen der Stadt und der Provinz.

Eine Aussage, die man sich auch heute noch sicher nicht nur in Würzburg leider wieder jederzeit vorstellen kann.

Die Aktivität der Gruppe mit Vorträgen, Lesungen, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen, erregte seinerzeit großes Aufsehen, neben dem bereits genannten Berliner Blatt etwa in der Frankfurter Zeitung, in den Nürnberger Nachrichten und anderen Blättern, während andererseits zum Beispiel der Bamberger Fränkische Kurier zu seinen stramm rückwärtsgewandten Brüdern im Geiste beim Generalanzeiger stand und vor allem Barthel und Koenig im bereits vorauseilenden Nazi-Jargon durch einen Professor der Universität Würzburg, der als Kulturkorrespondent fungierte, aus scheinbarer Ferne mit einer üblen Rufmordkampagne überzog.

Im März 1929 warnte Ludwig Friedrich Barthel in einem Volksfreund-Artikel vor „einem kommenden Diktator“ und forderte: „Bauen wir gegen diesen Diktator ein System von Diktatoren (bildlich gesprochen) auf, deren Verbundenheit mit dem Volke überwacht ist, deren Wille moralisch sein muß, weil er nichts wollen kann, außer dem richtig verstandenen Interesse der Gemeinschaft.“

Barthel war es auch, der kurz vor seinem Umzug nach München in einem Artikel vom 8. Januar 1930 im Fränkischen Volksfreund noch über das erste Würzburger Gastspiel des berühmten jüdischen Ensembles Habima sehr positiv berichtet hatte, dessen zweites Gastspiel elf Monate später, als Barthel bereits nach München verzogen war, zu jenem leider berühmten Würzburger „Habima-Skandal“ führte, als Nazi-Schlägerbanden dieses Gastspiel mit allen Mitteln zu verhindern suchten. Wegen solchen Besprechungen, wegen seiner Freundschaft mit Oppenheim, und weil er unter anderem noch nach der „Machtergreifung“ Hitlers zu einer Lesung in die Kunstgalerie des (jüdischen) Würzburger Geschäftsmanns Oskar Laredo aus München angereist war, fiel er als Staatsarchivrat in Ungnade. Man entließ den inzwischen mehrfachen Familienvater zwar nicht, disziplinierte ihn aber als „Juden- und Kommunistenfreund“, indem man ihm jede weitere Beförderung verweigerte. Tatsächlich wurde er bis zum Ende seiner Dienstzeit im Jahre 1953 nie mehr befördert.

Koenig verlor seine berufliche Existenzgrundlage, wurde zeitweise eingesperrt, kam wieder frei und hungerte sich fast zu Tode, bis er schließlich seine alten Freunde um finanzielle Hilfe bitten mußte. Vielleicht aus Verzweiflung trat er später in die katholische Kirche ein, einzelne von ihm nach 1945 noch erschienene frömmelnde Aufsätze und ein Gedichtband erschreckten seine Freunde mehr, statt daß sie erfreuten. Oppenheim war 1933 die Flucht nach London gelungen.

Warum dieser Exkurs? Für mich illustrieren frühere und heutige Hexenjagden und Rufmordkampagnen gegen Andersdenkende, die von jedermann erkennbare Tatsachen aufgreifen, erklären und interpretieren, leider treffend die nicht nur in Würzburg schon traditionell zu nennende Verlogenheit von selbsternannten kulturellen und politischen Eliten. Ich beobachte die Machtspiele solcher Eliten seit 40 Jahren, und das in drei von vier Kontinenten, in denen ich gelebt und gearbeitet habe: Es ist völlig irrelevant, auf welcher politischen Seite diese Leute jeweils stehen. Rechts? Links? Schnurz! Egal, ob es sich etwa um plumpe monarchistisch- faschistische korrupte Eliten im diktatorisch regierten Thailand, um die sogenannte Regierung eines trägen Fettwanstes mit Königswürde, die ich Anfangs der 1980er im Südseestaat Tonga erlebte, oder um die Mitglieder einer merkeldeutschen, nach eigener Einschätzung „meinungsführenden“ Parallelgesellschaft von Politikern und Journaktivisten handelt: Es geht immer, meist aus dem Hinterhalt, am liebsten anonym, gerne vermummt, nicht selten mit dem Vorschlaghammer oder auch mal gefrorenen Sahnetorten und Pflastersteinen, gegen diejenigen, deren Meinungen bei selbstgerechten Anti-Intellektuellen, den selbsternannten „Guten“ und eingebildeten „Staatstragenden“, gerade nicht genehm sind.

Im Vergleich zu 1928 hat die Reaktion des Lokalblattes dabei sicher nicht nur in Würzburg längst die Seite gewechselt. In Würzburg handelt es sich dabei ausgerechnet um die Erbin und Nachfolgerin des Generalanzeigers, deren verantwortliche Macher heute wie damals auf der staatstrag… – nein, das bilden die sich nur ein! – … auf der restaurativen Seite stehen.

In Würzburg stehen die populistischen Meinungs-Macher heute nach meiner Beobachtung mehrheitlich stramm links, so wie sich das der Zeit entsprechend politisch-korrekt gehört, und wofür diese überwiegend rückwärtsgewandten Leute sich liebend gerne ein Prädikat von angeblicher „Weltoffenheit“ und „Toleranz“ überstülpen wollen. Sie werden mehr oder weniger offen unterstützt von einigen Redakteuren der Lokalzeitung (die zum Vortrag von Alice Schwarzer zum Beispiel titelten, sie hätte „provoziert“.)* Dazu kommt noch ein glänzend indoktrinierter Gutmenschenpool aus dem erweiterten Umfeld der in Würzburg ansässigen Akademie der Friedrich Ebert-Stiftung auf der Frankenwarte. Dort existiert seit Jahrzehnten eine Brutstätte (im positiven Sinne!) für freie, manchmal gescheite, vor allem aber stets zuverlässig politisch-korrekt durchgegenderte örtliche Mitarbeiter der Lokalpresse, für Moderatoren, Dozenten und Lehrer. Es ist ein Pool, der zahlreiche, ausnahmslos linke, überwiegend sympathische Politiker, Oberbürgermeister, Kulturbeauftragte, Landtagsabgeordnete, Redakteure, Lektoren, Fernsehgrößen und sonstige Meinungsmacher bis hin zu Kabarettisten hervorgebracht hat.

Ich kritisiere keineswegs die Tatsache, daß diese Strukturen existieren. Ganz im Gegenteil, ich war und bin selbst oft Gast auf der Frankenwarte, in Vorträgen und Seminaren. Aber als Kenner der alten und neueren örtlichen Geschichte und der Entwicklung Würzburgs in den vergangenen 40 Jahren überrascht mich bei einer Rede von Alice Schwarzer in der Universität kein bißchen der Auftritt gut instruierter, in Presseberichten stets anonym bleibender, sogenannter „spontaner Fragesteller“, die vorbereitete Texte von mitgebrachten Zetteln ablesen. Ja, Veranstaltungen mit Menschen, die wie Alice Schwarzer den Mut haben, offensichtliche unangenehme Tatsachen anzusprechen, Menschen von der Art, wie sie die Möchtegern-Meinungsführer aus dem in ihren Parallelgesellschaften herrschenden Weltbild unbedingt verbannen wollen, „provozieren“ eben, sie sind also selbst schuld, nicht wahr?

Vermutlich war den nach dem Vortrag „spontan“ koordiniert aufgetretenen Islam-Apologeten der tatsächliche Inhalt des Vortrags von Alice Schwarzer von vornherein schnuppe, selbst wenn sie in der Lage gewesen wären, ihm intellektuell zu folgen. Den Studenten der Juristischen Fakultät, und anderen, die an der Universität ähnliches organisieren, kann man nur wünschen, daß sie ihr Mut nicht verlassen möge, auf den mächtig wabernden, aber inhaltsleeren politisch-korrekten Würzburger Meinungsmief mit der weiteren Einladung kompetenter und interessanter Persönlichkeiten zu Vorträgen und Gesprächen zu antworten. Im Zweifel führe man sich die Inschrift über dem Eingang zur Neuen Universität zu Gemüte. Neben Prometheus mit den Fackeln des geistigen Fortschritts steht dort auf einer Bronzetafel das, was an einer Universität genauso wie im Leben alleine zählt: „Veritati“.

Wahrheit „provoziert“ höchstens Studenten, die ihren Namen nicht verdienen, nutzlose bis lächerliche Politiker, und dumme, hochnotpeinliche Möchtegern-Meinungsmacher einer immer überflüssiger werdenden Wahrheitspresse.

 

* PS: Wenn für ausgebildete, hochbezahlte Zeitungsmacher im Jahre 2017, vier Jahrhunderte nach Giordano Bruno, ein informativer Vortrag wie der von Alice Schwarzer in Würzburg schon „provoziert“, wie „provozierend“ finden solche nutzlosen Apologeten dann zum Beispiel, um einfach irgendein Beispiel zu nennen, eine harmlose Karikatur über einen längst gestorbenen halluzinierenden Kinderf*cker, gewissenlosen Räuber, fiesen Sklavenhändler, gemeinen Folterer, erbarmungslosen Kopfabschneider und Totschläger, widerwärtigen Frauenverachter, verabscheuungswürdigen Massenmörder und Kriegstreiber, gedankenlosen Tierquäler, vorsätzlichen Lügner und verachtenswerten Haßprediger, den jeder denkende Mensch von Herzen wünscht, daß er ewig in einer gärenden Jauchegrube mit Schweinekadavern kompostieren möge?

Quellen:
1. http://www.aliceschwarzer.de/artikel/ein-abend-wuerzburg-334477
2. https://tapferimnirgendwo.com/2017/05/22/alice-in-wuerzburg-und-was-sie-dort-fand/
4. Wuerzburg eine Provinzstadt? oder die kulturelle Sendung Würzburgs. Mit Beiträgen von Ludwig Friedrich Barthel [Hg.], Michael Georg Conrad, Heiner Dikreiter, Johannes Karl Koenig, Fritz Mertens, Benno Ziegler. Würzburg 1927.
3. Ludwig Friedrich Barthel: Der Nachlaß im Monacensia Literaturarchv. 2. Aufl. Segnitz: Zenos 2016. ISBN 978-3-931018-26-9
5. Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke Band 2 1925-1928. Reinbek: Rowohlt 1960, 1047.

1 Gedanke zu „Was Alice in Würzburg fand“

  1. Sehr interessanter Artikel!

    Werde ihn an meine Freunde vom ‚Freiraum‘ weitergeben, der seit Jahren einen kommerzfreien Raum in der Stadt Würzburg anbietet, um andere Werte als die herkömmlichen zu vertreten, aber bisher wenig Unterstützung von den Kulturträgern der Stadt erhält, auch wenn er ein Stück ‚anderer Kultur‘, eben der Gratiskultur, des‘ freien Gebens und Nehmens‘ und damit ein Stück Zukunft darstellt. Dessen, was in Zukunft sein wird wo nicht mehr jeder nur für sich und an sich denkt, sondern an das Gemeinwohl, an das, was für alle ein Gewinn ist – ohne dabei an Geld (und vor allem an Profit) zu denken :)

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